Ich habe mein Herz verbannt   Udo Reich

LESEPROBE

© EIGEN VERLAG 1994
   Dichtung tut not!

   Ein Dichter ist ein Jedermann,
   der irgend etwas dichten kann.
   Ob mit Versen, endlos lange Reime,
   oder Wände mit zement'nem Schleime;

   Ob Liebeslyrik, leicht und sanft angerichtet,
   oder Wasserrohre mit langem Hanf gedichtet;
   Ob Oden, Epen oder Balladen,
   oder tiefe Löcher in Fassaden;

   Immer ist etwas von Nöten,
   es zu dichten oder zu löten;
   Ob es gilt sanft zu schlichten,
   oder Leckagen abzudichten -

   Gegen geringen - oder keinen Lohn,
   sagt ein Dichter ‘Ich dichte schon!'
   Denn er weiß um sein täglich' Brot -
   Dichtungen tun immer not! 



   Raucher

   Ich rauche gern!
   Weil, wie soll ich sagen...?
   Es liegt mir fern,
   eigentlich, zu fragen.

   Der Husten am frühen Morgen,
   das Gekeuche auf der Treppe -
   Ein paar von vielen Sorgen,
   die ich so mit mir schleppe.

   Nun es ist so, dass ich rauche
   und mein Geld in Rauch auflöse
   Die Werbung sagt, dass ich's brauche
   und ich bin ihr gar nicht böse.

   Sie zeigt mir Dinge, die zu haben,
   Freiheit, Autos, Frauen die betören;
   So viel und nur um mich zu laben -
   und jederzeit vermag ich aufzuhören!

   Ich will nur gerade nicht,
   es liegt mir einfach fern!
   Gut steht es mir zu Gesicht
   und ich rauche einfach gern! 



   Nachbarschaft

   Ich habe eine Wohnung und dies ist gut,
   denn zum Schlafen unter Brücken fehlt mir der Mut.
   Doch wie das Schlafen unter Brücken,
   hat auch eine Wohnung so ihre Tücken.
   Man gehört zusammen, streitet sich,
   den Einen grüßt man, den Anderen nich'.
   Es bringt einem Hilfe, kostet auch Kraft;
   Die vielgerühmte -  Nachbarschaft.

   Nun bin ich immer auf Ausgleich bedacht,
   habe noch nie jemandem Unbill gebracht.
   Füge mich harmonisch ein in jeden Kreis,
   jede Hausordnung erfüll' ich mit Fleiß.
   Störe nie, bin leise und bescheiden.
   Doch zuweilen läßt es sich nicht vermeiden,
   dass man mich stört, mir Fragen stellt
   und mir den Tag mit Klagen vergällt.

   Um dies zu vermeiden, schleiche ich geschickt,
   den Körper eng an die Hauswand gedrückt,
   vorher geprüft, ob die Luft auch rein,
   zur Wohnung heraus und zur Türe hinein.
   Dennoch kommt es vor, dass man mich stellt,
   eine Nachbarin am Arm mich hält
   hindert mich daran, davonzueilen
   sagt, sie hätte mir etwas mitzuteilen.

   "Gut Sie zu treffen, ich wollte nur sagen...
   außerdem wollt' ich Sie immer mal fragen,
   ob die Musik Sie auch so stört? -
   Also ich finde so etwas unerhört!
   Da hört man es bumsen und krachen;
   Ich frage mich, was die da machen.
   Und dann bewirten die so manchen Gast;
   Gerade so, wie's denen passt!"

   Sie redet und redet. Ich nicke beflissen
   und sage ihr, ich täte mal müssen.
   Und: "Sie haben ja so furchtbar recht,
   die Menschen sind so furchtbar schlecht."
   Verdrücke mich dann eilends in meine Wohnung.
   Meine Ohren brauchen nun erst einmal Schonung.
   Ich mache Musik, dass es bumst und kracht
   und mir das Herz im Leibe lacht.

   Die Musik dröhnt laut, die Bässe schwer,
   das Klopfen an der Türe hör' ich längst nicht mehr.
   Was diese Nachbarin wohl anficht?
   Warum gönnt sie mir die Freude nicht?
   Was sind das für Probleme, die sie so stören?
   Was für Menschen, die Musik nicht gerne hören?
   Ach lebte ich doch im Freien,
       dort könnte ich jeden Gast
   mit unter die Brücke nehmen,
       gerade so wie's mir passt!



   Bettelkinder

   Aus dem Staub
   und Lärm
   einer geschäftigen und hektischen
   Gegenwart
   streckt sich unvermittelt
   eine kleine, schmutzige Kinderhand
   mir entgegen.

   Ich schaue
   und ein paar verlorene Augen
   prägen sich mir ein,
   Augen,
   in denen schon ein ganzes Leben
   verzeichnet ist.

   Bitte!

   So spricht der kleine, ausgemergelte
   und schmutzige Körper
   von der Straße zu mir herauf.

   Bitte!

           Gib mir!

   Gebe ich nicht,
   so werde ich still weinen
   über meine Unfähigkeit
   zu helfen.

   Gebe ich,
   so werde ich mich still schämen
   über den Versuch,
   mein Gewissen
   so billig
   zu beruhigen !

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